„Frauen setzen auf Qualität – aber sind oft schlecht in der Selbstvermarktung“

Stephanie RingelFoto: Mirjam Kluka

Stephanie Ringel stellt jeden Monat die Seiten der Schweiz-Ausgabe von Schöner Wohnen zusammen und hat sich zur Aufgabe gemacht, Frauen in der Designszene sichtbarer zu machen. Daneben kennt sie sich auch bestens aus mit den Trends im Wohnbereich.

Stephanie, du warst im April am Salone del Mobile in Mailand, eine der wichtigsten Möbelmessen der Welt. Was gibt es für Trends?
Die Designwelt wird wieder farbig! Das war lange nicht so, es wurde vor allem auf gedeckte Töne gesetzt. Daneben ist die Gestaltung von Mobiliar für den Aussenraum sehr wichtig geworden. Viele Möbelfirmen, die in diesem Bereich bisher nicht tätig waren, haben eigene Gartenkollektionen herausgebracht. Das ist wirklich eindrücklich.

Dabei werden die Grünflächen immer kleiner… Gibt es nicht einen Widerspruch zwischen der Realität und dem, was sich die Möbelfirmen an Trends ausdenken?
Das sehe ich auch so. Die Branche richtet sich mit exklusiven, individuellen Gartenlandschaften vor allem an eine sehr vermögende Kundschaft. Etwas, das im Design generell zugenommen hat, man fokussiert sich auf den Luxussektor. In der Schweiz jedoch haben Gartenmöbel Tradition. Die Gartenkultur hatte immer schon einen Bezug zur Designkultur. Schaffner brachte in den 50er Jahren ihren Spaghetti-Stuhl auf den Markt, der Altorfer Liegestuhl von Embru wurde schon 1948 lanciert. Dieses hochwertige, zeitlose Mobiliar ist immer noch beliebt – auch mit der Überlegung, eine Investition zu machen, an der man in zwanzig Jahren noch Freude hat. 

Lustig, dass du das sagst: Mein Partner und ich haben im letzten Sommer einen Schaffner-Tisch und zwei Spaghetti-Stühle angeschafft – und freuen uns jedes Mal darüber, wenn wir draussen sitzen. Nochmals nach Mailand: Neben den Trends schaust du dir an der Messe die Präsentationen der Schweizer Gestalter:innen an. Was macht ihr Schaffen aus?
Ihr Zugang zur Ästhetik ist nicht über Dekoration, sondern fast immer über Innovation in der Funktionalität. Materialien, deren Nachhaltigkeit und
Handwerkskompetenz in der Herstellung sind wichtig. Savoir-faire ist der neue
Luxus. Das ist für mich eines der grossen Erkennungsmerkmale des Schweizer Designs – und das unterscheidet es von den nordischen Ländern aber auch von den Italienern. Schweizer Design kommt immer ein bisschen technisch, aber klug, daher.

„Wir Frauen neigen dazu, auf Qualität und Ergebnisse zu setzen, sind aber immer noch schlecht in der Selbstvermarktung. Das finde ich schade.“

Gibt es ein Talent aus der Schweiz, das dir besonders aufgefallen ist?
Beachtenswert finde ich die Industriedesignerin Laure Gremions aus Neuchâtel. Bei ihr kann man gut sehen wie das Gestaltungsschaffen bei den Jungen funktioniert, nämlich experimentell. Sie arbeiten mit Materialien, die sie interessant finden, und bilden Kooperationen. In Mailand hat Laure einen Beistelltisch gezeigt, den sie mit einer Keramikerin entwickelt hat. Der Tischfuss besteht aus einer Porzellanplatte, darauf liegt eine Glasscheibe. Ganz minimalistisch aber technisch hoch anspruchsvoll. Weil das ja kein Objekt zum Anschauen ist, sondern auch funktionieren muss. 

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Vor ein paar Jahren war ich bei einer Präsentation von Atelier Pfister in Zürich. Vorne stand Alfredo Häberli, hinter ihm die jungen Nachwuchsdesigner, die an der Kollektion beteiligt waren. Ich fand es unmöglich, dass keine einzige Frau darunter war.
Ich mache die gleichen Beobachtungen wie du – habe mir aber die Aufgabe gestellt, Frauen zu finden. Ich halte bewusst Ausschau und biete ihnen bei Schöner Wohnen Schweiz eine Plattform. Wenn man sich diese Arbeit macht, merkt man, dass es diese Frauen natürlich gibt, und sie die Szene massgeblich mitprägen, 

Wieso sind sie so wenig sichtbar?
Da muss ich etwas ausholen: Meist entwickeln Designschaffende ihre Entwürfe in Kooperation mit einem Unternehmen. In der Regel bekommen sie zum ersten Mal Geld für ihre Arbeit wenn diese – zum Beispiel ein Stuhl – produziert und im Handel erhältlich ist. Viele Gestalter leisten Kreativarbeit, für die sie lange kein Geld bekommen. Heute gibt es das Autorendesign fast nicht mehr. Wenn man nicht einen grossen Namen hat wie etwa Atelier Oï, stehen die Designer:innen im Hintergrund und die Marke im Vordergrund. Bei Frauen ist es so, dass viele sehr präzise und neuartig arbeiten und keinen Wert darauf legen, als Person sichtbar zu sein. Was ich schade finde. Wir Frauen neigen oft dazu, still auf Qualität und Ergebnisse zu setzen, sind aber immer noch schlecht in der Selbstvermarktung und darin, kluge Kooperationen zu bilden, durch die man sich gegenseitig Sichtbarkeit verschaffen kann. Männer schliessen sich viel schneller zusammen und bekommen so Aufmerksamkeit. Dadurch bekommen sie nicht nur Aufmerksamkeit, sie nutzen das Team um sich und bekommen aktiv ins Licht zu stellen.

Was empfiehlst du Frauen? Wie geht kluges Marketing?
Für Eigenmarketing bietet Social Media viele Möglichkeiten, es ist aber auch eine Falle. Da der Konkurrenzkampf so gross geworden ist, muss man unglaublich viel investieren an Zeit, Content und Engagement. Man kann nicht nur Bilder posten, sondern braucht eine Strategie – Social Media ist ein Teil der Geschäftstätigkeit geworden und nichts, das man so nebenbei macht. In meiner Tätigkeit als Honorardozentin an der Schweizerischen Textilfachschule STF in Zürich und als externe Expertin an der Fachhochschule Nordwestschweiz biete ich mich den Studen:innen als Ansprechspartnerin an und teile mit ihnen mein Netzwerk. Das Pflegen von Kontakten mit Kollegen aus der eigenen Branche und der Aufbau eines Netzwerks klingt vielleicht altmodisch, bringt einen aber auch noch heute weiter.

Eine letzte Frage: Was für Design steht bei dir daheim?
Ich mag zeitgenössisches Design und Produkte, die mit Handwerkswissen gefertigt und in ihrer Funktionalität perfekt sind. Wie unser Esstisch eines Schreiners aus dem St. Gallerland, den wir uns bauen liessen. Der ist von A bis Z gut gestaltet. Klassiker hingegen interessieren mich designhistorisch. Ich sehe sie als Produkte ihrer Zeit, würde mir aber zum Beispiel nie einen Eames Lounge Chair kaufen. 

Stephanie Ringel
Stephanie Ringel verantwortet jeden Monat den Schweizer-Teil des Wohnmagazins Schöner Wohnen. Sie führt ein Büro für Text und Kommunikation in Zürich. Foto: Mirjam Kluka

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