Das Buch über den westafrikanischen Modeschöpfer Pathé’O hat Fotografin Flurina Rothenberger vieles abverlangt. Hat es sich gelohnt? «Das weiss ich erst, wenn er es das erste Mal in den Händen hält und glücklich ist.» Sicher ist schon jetzt: Der Kunstband ist ein aussergewöhnliches Zeitzeugnis.
Sechs Jahre ist es her, dass Flurina Rothenberger die westafrikanische Mode-Ikone Pathé’O zum ersten Mal persönlich getroffen hat. In seinem Atelier im ältesten Handwerker-Quartier in Abidjan, wo die Strassen noch staubig statt asphaltiert sind, fragte sie ihn für ein gemeinsames Buchprojekt an. Zusammen mit der Journalistin Catherine Morand wollte sie seine Geschichte erzählen. «Schon als Kind war er mir ein Begriff», erzählt die Schweizer Fotografin, die in den 80er Jahren in Zuénoula an der Elfenbeinküste aufgewachsen ist. Heute ist Pathé’O ein Star in der internationalen Fashionwelt.
Seit der ersten Begegnung mit Pathé’O hat Flurina Rothenberger Stunden damit verbracht, Berge von analogen Dias zu sortieren, Modeshootings durchzuführen, Porträts zu machen, Gespräche mit Politiker:innen, Färber:innen und Expert:innen zu führen. Ebenso viele Stunden hat sie Pathé’O im Atelier begleitet. «Wenn man etwas von ihm möchte, braucht man Geduld. Für eine Info habe ich manchmal einen Tag gewartet. Für Interviews hat er wenig Zeit. Er arbeitet von frühmorgens bis spätabends, trotz seiner Bekanntheit und seines Erfolgs ist er extrem bescheiden. Und das ist ganz aussergewöhnlich für die Elfenbeinküste. Es wird eigentlich erwartet, dass man einen gewissen Status zelebriert. Er sagt aber immer: Ich bin und bleibe ein Schneider.»
Wir treffen Flurina Rothenberger in Zürich, wo die Fotografin derzeit wohnt. Eine Stunde haben wir Zeit, danach wird sie das erste Mal das gedruckte Buch in den Händen halten. «Ich habe so viel Zeit und Nerven investiert. Ob es sich gelohnt hat, kann ich erst sagen, wenn ich sehe, dass es Pathé’O glücklich macht. Das Wichtigste an diesem Projekt war mir immer, dass sein Werk festgehalten wird. Sein Archiv ist nicht nur für ihn, sondern auch für die ganze Westafrikanische Geschichte ein wichtiges Zeitdokument. Wenn man die Bilder, die in einem feucht-staubigen Dachstock gelagert sind, jetzt nicht digitalisiert, gehen sie irgendwann einfach kaputt und sind für immer verloren.»
Der rote Faden durch das Buch ist ein langes Gespräch mit Pathé’O. Er erzählt, wie er sich von Burkina Faso in den 80er-Jahren als Baumwollplantagen-Arbeiter an die Elfenbeinküste durcharbeitete. Wie er sieben Jahre eine Lehre als Schneider machte, mit Hunger im Bauch und einem Bett unter der Werkbank. Damals boomte die Textilwirtschaft und vieles wurde lokal angebaut, verarbeitet und verkauft. Seit den 90er-Jahren wird afrikanische Baumwolle aber mehrheitlich exportiert. Die Textilfabriken an der Elfenbeinküste haben mittlerweile alle geschlossen.
Um so wenig Stoff wie möglich aus Dubai importieren zu müssen, setzt Pathé’O deshalb auf lokale Produkte, am liebsten auf den handgewebten Faso Dan Fani. «In allererster Linie ist er ein Aktivist», sagt Flurina Rothenberger. «Er verstand es zum Beispiel nicht, dass Staatsmänner in westlichen Anzügen auftraten. Seine Kreationen änderten das und sogar Präsident Nelson Mandela zeigte sich in Kleidern von Pathé’O. Seine Absicht war es immer, bei den Afrikaner:innen die Wertschätzung für einen einheimischen Modestil und eine lokale Industrie zu wecken.»
Neben sozialpolitischen und wirtschaftlichen Themen, spielt auch die Handwerkskunst einen wichtigen Teil im Buch. Die Färberinnen selber und internationale Expertinnen erklären die unterschiedlichen Macharten bis ins Detail. «Mir war es wichtig, dass es kein akademisches Buch wird, schlussendlich ist es noch immer ein Kunstband – einfach ein sehr sehr ausführlicher», sagt Flurina Rothenberger und lacht.
„Ich spürte den Druck der richtigen kulturellen
Flurina Rothenberger
Darstellung extrem.“
Ein grosser Teil ihrer Arbeit bestand dann auch darin, Fakten zu überprüfen. «Wir hatten Unmengen an Bildern. Viele waren beschriftet, viele aber auch nicht. Anhand der Infos von Pathé’O und Fotograf Ben Idriss Zoungrana, zu dessen Archiv wir nur Zutritt bekamen dank der langjährigen Freundschaft zwischen den beiden Männern und Saïdi Mamadou Ouédraogo, einem jungen Kulturjournalisten aus Burkina Faso, haben wir die Daten abgeglichen. Oft waren die Bilder aber falsch datiert und ich musste sie mit alten Pressemitteilungen oder Zeitungsartikel abgleichen. Natürlich alles analog. Ich spürte den Druck der richtigen kulturellen Darstellung enorm.. Es gibt so viele Bücher, die Ramsch erzählen. Zum Glück waren bei diesem Projekt ganz viele Menschen aus dem afrikanischen Kontinent beteiligt: junge Journalist:innen, Fotograf:innen, Fachpersonen. Ohne sie wäre das Buch niemals zustande gekommen.»
Je mehr Flurina Rothenberger über das Buch erzählt, desto klarer wird, warum sie Pathé’O so verbunden ist. Auch sie lebt für ihre Arbeit und setzt sich damit für kulturelle Gerechtigkeit ein. Ihre Bilder und Porträts sind voller Können, Liebe und Respekt für die Menschen und fürs Detail. Natürlich würde sie einen Vergleich mit der Mode-Ikone nie gelten lassen. Und liefert damit gleich noch eine weitere Gemeinsamkeit mit Pathé’O: die Bescheidenheit.
Buch Pathé’O
Herausgeber:innen: Flurina Rothenberger, Hammer, Catherine Morand, Pathé’O
Design: Hammer
Verlag: Edition Patrick Frey
ISBN 978-3-907236-23-9 Englische Ausgabe
ISBN 978-3-907236-24-6 Französische Ausgabe
Vernissage am 20. August in Zürich