Im Herbst lockt die Küste im Nordosten von Spanien mit Gelassenheit statt mit übervollen Stränden. Auch das Landesinnere der Costa Brava kann mithalten: Wir entdecken Bio-Hotels, pittoreske Dörfchen und innovative Menschen.
Alle Bilder sind von Flurina Rothenberger – gracias!
Wer mag schon Sackgassen? Vor allem dann, wenn man im Dunkeln mit einem sehr breiten Mietauto in einem engen spanischen Gässchen steht. Einen anderen Weg als Umkehren gibt es aber nicht. Unser Ziel, das kleine Hostal ses Negres, liegt an der Carrer del Mar. Der einzigen Strasse, die durchs Dörfchen Sa Riera führt. Beim Aussteigen erhaschen wir einen Blick auf die Bucht und ahnen: Das Manöver hat sich gelohnt. Und als Gastgeberin Laura uns begrüsst, vergessen wir sogar, dass wir noch keinen Znacht hatten. Mit leichten Schritten führt sie durchs Hotel, besteht darauf, dass sie beide Koffer ins Apartment tragen darf, lacht, fragt und gestikuliert.
Am nächsten Morgen fühlen auch wir uns unbeschwert. An der berühmten spani- schen Gelassenheit scheint etwas dran zu sein. Die Bucht von Sa Riera zeigt sich im besten Licht. Was für ein Ort! In der Mitte breitet sich der Sandstrand aus, rechts und links wird er von steilen Felsen und Pinienbäumen umrahmt. Das Beste: Alle Küstenabschnitte sind begehbar und miteinander verbunden. Wer möchte, kann also von einem Strand zum anderen wandern oder gleich einen mehrtätigen Trip entlang dem Meer planen. «In diesem Teil der Costa Brava ist es nie wirklich voll», erzählt uns Laura. Am allerschönsten sei es aber im Herbst. Dann, wenn das Meer noch von der Sonne gewärmt und der Strand fast leer ist.
Wer das Hinterland der Costa Brava erkundet, wird belohnt. Versprochen!
Ein guter Ausgangspunkt für eine kleine Rundreise ist die Stadt Girona im Nordos- ten Kataloniens. Die Altstadt ist nicht nur für ihre mittelalterlichen Bauten berühmt, auch (Profi)-Rennvelofahrer sind etliche zu sichten. Nach einem Spaziergang entlang der alten Stadtmauer, mit guten Ausblick über Girona, locken unzählige Cafés oder Top-Restaurants wie das weltberühmte El Celler de Can Roca. Für Kombuchafans gehts ins Café Originem. In der gekühlten Vitrine stehen etwa 20 Sorten des Gärgetränks, von goldgelb bis hellgrün und alle hausgemacht. Kellner Henry empfiehlt uns dazu – ganz traditionell – Xuixo, ein frittiertes, mit Crema Catalana gefülltes und mit Zucker bestreutes Gipfeli, das genauso süss schmeckt, wie es klingt.
Mehr lokale Köstlichkeiten findet man im Laden Vimet, wo sich Pfirsiche, Granatäpfel und Gurken in Bastkörbchen türmen. In den Regalen stehen auch selbstgekochte Tomatenkonfitüre, handgemachte Seifen und Ratafia, ein lokaler Kräuterlikör. Wir finden: der beste Ort für Souvenirs.
Weiter geht es nach Avinyonet de Puigventós, 45 Minuten Autofahrt nördlich von Girona. Dort wartet inmitten weiter Felder eine kleine Oase. Das Mas Falgarona. Was früher eine Hühnerfarm war, ist heute ein Landhotel. Ganz sind die Hühner nicht verschwunden. Sobald man nämlich die über 100 Stufen in den Gemüsegarten hinabsteigt, hört man das leise Gegacker, das Orlando Garcias Arbeit begleitet. Beim Pflücken von Auberginen erzählt er, dass er vor einem Jahr von Bolivien nach Spanien gekommen sei und den Grossteil seines Lohns der Familie schicke.
Unserem Privileg einmal mehr bewusst, verbringen wir die Abendstunden am Pool und bestaunen, wie die letzten Sonnenstrahlen die krummen Olivenbäume und das alte Steingemäuer zum Glühen bringen. Auch gegessen wird draussen – die Randen fürs Carpaccio wurden frisch geerntet.
Am nächsten Morgen fahren wir an die Küste, nach Cadaqués. Das ehemalige Fi- scherdorf sieht aus wie gemalt: weiss getünchte Häuser reihen sich entlang der Promenade, bunte Fischerbötchen wiegen im Meer hin und her. Ein paar Stunden später sitzen wir auf dem Sattel eines E- Bikes, des Anbieters Burricleta. In Empordà, dem Hinterland Costa Bravas, fahren wir mit Guide Albert an Apfelplantagen vorbei, durchqueren die mittelalterliche Dörfchen Peratallada uns Pals und machen bei der Käserei Nuri Halt. Dort stehen die Einheimischen Schlange um Recuit zu kaufen. Die Spezialität aus Ziegenmilch sieht aus wie Ricotta und wird mit Honig serviert.
Nicht nur Traditionelles, sondern auch innovative Menschen prägen die Gegend. Zum Beispiel Winzer Antoni Falcon. Er hat chemische Mittel vollständig aus seinen acht Hektaren Reben verbannt, dafür scheinen die Gänse umso lauter zu schnat- tern. Hier hat die Natur das Sagen. Falcon, ein gelernter Landschaftsarchitekt, hat das moderne Gutsgebäude von Vins de Taller nach ihrem Vorbild konzipiert: die Aussenwände rostrot wie die fruchtbare Erde, Dach mit wilder Wiese bepflanzt. Es erfreut nicht nur die Bienen, sondern isoliert gleichzeitig und fängt Regenwasser auf.
Nur zehn Kilometer entfernt, wartet auf dem Gut Oli Ventalló ein weiteres ku- linarisches Abenteuer. Fina Sala kommt direkt von einem Olivenölkongress in Ma- drid. Rasch schneidet sie ein Brot an, packt Käse aus und tröpfelt Olivenöl in ein Schälchen. «Bitte entschuldigt, normalerweise tische ich meinen Gästen mehr auf», sagt sie und lacht. Wir könnten uns allerdings nichts Besseres vorstellen als frisches Brot, Käse, Tomaten und Olivenöl . «Ich möchte, dass die Leute verstehen, wieviel es braucht, damit ein gutes und natürliches Olivenöl entsteht.» Lange war sie unsicher, ob sie den Betrieb ihrer Familie übernehmen soll. «Aber ich war es ihnen, mir und dem Dorf schuldig. Manche unserer Bäume sind 2000 Jahre alt. Ich wollte nicht, dass das alles verschwindet.» Mittlerweile produziert Fina Sala ihre eigenes ökologisches Olivenöl und tüftelt an Naturweinen.
Keramikfans müssen nach Bisbal d’Empordà: Die Töpferhauptstadt von Katalonien erreicht man von Ventalló aus innerhalb einer halben Stunde. Dort treffen wir Piluca und Marta in ihrem Shop Gla Empordà. Zusammen mit lokalen Herstellern entwi- ckeln sie nachhaltige, hippe Produkte wie Schlüsselanhänger aus Ton, Yogablöcke aus Kork und ein Parfüm, das nach den wilden Kräutern der Costa-Brava-Küste riecht.
Wieder zurück auf der Terrasse des Hostal ses Negres, direkt am Meer, lassen wir den Tag ausklingen. Dort wird einem mit Blick auf die Bucht das Abendessen serviert. Eine Gruppe praktiziert Yoga am Strand, die letzten Wanderer machen sich auf den Heimweg. Wir stossen an und wünschen uns, die Zeit würde etwas langsamer vergehen. Wer hätte gedacht, dass eine Sackgasse so paradiesisch sein kann.